Deutscher ESC-Vertreter Isaak: "Ich kann eigentlich nur gewinnen"

05.05.2024, 13.29 Uhr
von Eric Leimann

Isaak vertritt Deutschland beim Eurovision Song Contest 2024 (Samstag, 11. Mai, 20.15 Uhr, Das Erste) im schwedischen Malmö. Im Interview erzählt der 29-jährige Sänger, wie er früher von Straßenmusik und Hartz IV lebte, warum er lange Probleme mit seiner Vaterrolle hatte – und wie er den ESC sieht.

Isaak Guderian vertritt Deutschland 2024 beim größten Musikwettbewerb der Welt, beim Eurovision Song Contest (Samstag, 11. Mai, 20.15 Uhr, Das Erste). Doch wer ist der 29-jährige Singer-Songwriter aus der ostwestfälischen Provinz? Sicherlich kein Plastik-Popprodukt, denn der Vater zweier kleiner Söhne setzte sein gesamtes bisheriges Leben voll auf die Karte Musik. Er brach die Schule ab, machte Straßenmusik, spielte in Coverbands und nahm an Musikwettbewerben teil. Mit seinem ESC-Song "Always On The Run" hätte er sich allerdings nicht beim ESC beworben, gibt er freimütig im Interview zu. Doch warum? In einem sehr persönlichen Interview verrät der Vollblutmusiker aus Espelkamp, warum er sich als "Suchtpatient" sieht, weshalb er lange Probleme mit seiner Vaterrolle hatte und wie ein Lebensabschnitt als Hartz-IV-Empfänger ihn entscheidend weiterbrachte.

prisma: Haben Sie "Always On The Run" mit Blick auf den ESC geschrieben?

Isaak: Nein, so funktioniere ich nicht. Der Song ist das Ergebnis einer Session mit verschiedenen Leuten, die einfach nur zusammen Musik machen wollten. Dass es am Ende uns und vielen anderen Leuten so gut gefallen hat, war ein künstlerischer Glücksfall. Ich arbeite nicht mit Konzepten, wenn es um Musik geht. Das funktioniert bei mir gar nicht. Ich muss der Kreativität alle Türen offen halten, damit ich am Ende zufrieden mit dem Ergebnis bin.

prisma: Und wie kam das Lied dann zum ESC-Vorentscheid?

Isaak: Ich persönlich hätte mich dort nicht beworben. Nicht, weil ich keinen Bock auf den Wettbewerb hatte, sondern weil ich gedacht habe – von der Message her passt das nicht rein. Den ESC verbinde ich mit Themen wie Liebe, Gemeinschaft oder diesem Gefühl von "Get up, stand up!". Positive Botschaften. Oder du hast eben komplette Quatsch-Songs. Mit der Botschaft "Always On The Run" habe ich mich erst mal nicht im Wettbewerber-Feld gesehen, auch wenn ich das Lied selbst sofort sehr stark fand. Meine Plattenfirma Universal und andere Leute in meinem Umfeld dachten, dass das Lied beim ESC gut aufgehoben sei. Und sie haben ja Recht behalten.

"Ich bin ein Suchtpatient"

prisma: Welche Botschaft vermittelt der Song?

Isaak: Der Song handelt von meinem Hauptproblem, das gleichzeitig mein Haupttalent ist: Ich befinde mich immer in einem hyperfokussierten Zustand. Dinge, die ich mache, tue ich stets sehr intensiv. Gleichzeitig blende ich alles andere total aus.

prisma: Hört sich erst mal nicht so dramatisch an. Ist das nicht typisch für eine klassische Künstlerpersönlichkeit?

Isaak: Vielleicht. Aber es ist nicht nur Segen, sondern auch Fluch. Ich habe massive Konzentrationsschwächen, wenn ich Dinge tun muss, die mir nicht so gefallen. Ich kann mich schlecht auf Dinge einlassen, die mich nicht interessieren – die aber wichtig wären. Zum Beispiel alles, was mit Buchhaltung, Papierkram und dergleichen zu tun hat. Dinge, auf die ich keine Lust habe, strengen mich extrem an, obwohl ich quasi nichts gemacht habe. Es fühlt sich an, als würde sich mein gesamter Körper dagegen wehren. Meistens mache ich in diesen Momenten dann Musik, um mich abzulenken – und versinke darin (lacht).

prisma: Ist dieser Wesenszug nicht der Grund dafür, warum Künstler ein Management haben – und dann eigentlich kein Problem?

Isaak: Das Problem ist, dass ich diesen Wesenszug nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Privaten habe. Ich lasse mich schnell von allem ablenken. Ich bin ein Suchtpatient. Zum Beispiel beim Fernsehen, bei Social Media, eigentlich bei allem, was mit Medien zu tun hat. Wenn ich im Wohnzimmer sitze und da läuft der Fernseher, schaffe ich es nicht, an einer Konversation teilzunehmen. Weil der Fernseher mich dann sofort einsaugt. Es ist ein Fluch, weil ich in vielen Situationen teilnahmslos bin, in denen es besser gewesen wäre, vielleicht mal zu reden oder zuzuhören. Andererseits schafft es auch den Fokus, mich voll meiner Kunst hinzugeben, wenn ich von einer Idee besessen bin. Von diesem Dilemma handelt der Song, mit dem ich jetzt beim ESC auf der Bühne stehe. Verrückt, oder?

"Ich sagte zu mir: Sag mal, spinnst du? Was ist verkehrt mit dir?"

prisma: Sie haben ziemlich jung eine Familie gegründet und sind Vater von zwei Kindern. Man sagt, eine eigene Familie erdet und führt dazu, dass man sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens konzentriert. Hat es bei Ihnen nicht geholfen?

Isaak: Sagen wir es so – ich habe mir mehr davon erhofft (lacht). Genau diesen Gedanken hatte ich damals selbst. Dass mich das alles erden würde. Doch obwohl ich meine Familie über alles liebe, bin ich aus meinen alten Rastern und Verhaltensmustern leider nie richtig rausgekommen. Das habe ich mir auch lange vorgeworfen. Als mein erster Sohn geboren wurde, war ich lange Zeit erst mal sehr unzufrieden mit mir als Vater und Familienmensch. Ich sagte zu mir: "Sag mal, spinnst du? Was ist verkehrt mit dir?"

prisma: Ihre Söhne sind 2018 und 2021 geboren. Haben Sie sich mit Ihrer Rolle als Familienvater mittlerweile arrangiert?

Isaak: Ja, ich bin insgesamt reifer geworden und nicht mehr so rebellisch oder als Alleinunterhalter unterwegs. Ich habe ja mit 18 Jahren die Schule abgebrochen. Mit der Attitüde: Mir kann keiner was, ich mache mein Ding, ich brauche niemanden! Das ist natürlich Quatsch. Ich habe mittlerweile gelernt, dass andere Menschen Dinge besser können als ich und dass es gut ist, sich die Arbeit aufzuteilen und Verantwortung abzugeben. So funktioniert Musik, so funktioniert aber auch das Leben, wenn es gut läuft. Mir geht es heute psychisch deutlich besser, seit ich es geschafft habe, Aufgaben in andere, gute Hände zu geben, damit ich mich auf die Musik und meine Familie kümmern kann – und nicht mehr diese Karriere ganz allein managen muss.

prisma: Sie haben die Schule abgebrochen, Straßenmusik gemacht, an Talentshows teilgenommen – alles auf die Karte Musik gesetzt. War das mutig von Ihnen oder auch ein bisschen wahnsinnig?

Isaak: Viele Leute haben mir in den letzten Jahren auf die Schulter geklopft und mich für meinen Mut gelobt. Dabei habe ich eigentlich nichts geleistet – so sehe ich es zumindest. Warum? Weil ich keine Alternative hatte. Ich musste so handeln, wie es getan habe. Das war schon immer so in meinem Leben. Die wichtigen Entscheidungen waren nicht wirklich Entscheidungen. Weil das, was ich tun musste, von an Anfang an klar war. Ich war quasi optionslos.

"Seit ich 18 bin, war ich vielleicht drei- oder viermal im Urlaub"

prisma: Von was haben Sie damals gelebt?

Isaak: Eigentlich immer von der Musik. Mit zwölf Jahren fing ich an, Straßenmusik zu machen. Mit 16 war ich dann bei "X-Factor", was mir noch mal einen Schub gegeben hat. Dadurch und durch die Straßenmusik bin ich dann immer mal an kleinere Auftritte gekommen. Auf Hochzeiten, in der Kneipe oder auf dem Stadtfest. Kurzzeitig war ich dann auch mal mit einer Coverband unterwegs. All das passierte noch während meiner Schulzeit. Deshalb entschloss ich mich, die Schule abzubrechen. Seitdem mache ich eigentlich nur Musik und hatte noch nicht mal Zeit für Urlaub. Seit ich 18 bin, war ich vielleicht drei- oder viermal im Urlaub.

prisma: Sie haben aber auch mal von Hartz IV gelebt ...

Isaak: Ja, das hatte mit Corona zu tun. Wie man sich denken kann, stand ich während der Corona-Beschränkungen ohne Einnahmen da. Alles, was ich an Geld verdiente, kam durch Live-Musik zustande. Während Corona war aber noch nicht mal Straßenmusik möglich. Das heißt, vielleicht wäre sie sogar erlaubt gewesen. Wenn aber niemand auf der Straße ist, verdient man eben auch nichts. Deshalb habe ich Hartz IV beantragt. Das wiederum war die schönste Zeit in meinem Leben. Bis dahin war es immer stressig mit dem Geld. Nach dem Motto: Wie soll ich die Miete bezahlen, wovon soll die Familie leben, wie kann ich alles unter einen Hut kriegen? Ich war überarbeitet, komplett überfordert. Die Hartz IV-Zeit hat dann einfach mal den Druck rausgenommen.

prisma: Also war die Corona-Auszeit ein Segen für Sie?

Isaak: Auf jeden Fall. Der Kühlschrank war voll und die Miete bezahlt – auch wenn kein Geld mehr übrig war, um auszugehen. Doch das war egal, denn niemand ging aus. Dafür hatte ich Zeit, mich meiner eigenen Musik zu widmen, was ich dann auch sofort tat. Ich habe sehr viel geschrieben und aufgenommen in dieser Zeit. Das hat mich als Künstler noch mal weitergebracht, so komisch das klingt. Ab Corona habe ich mich auf meine Karriere als eigenständiger Künstler konzentriert. All die Cover-Songs in Kneipen und auf Hochzeiten ließ ich von da an weg. Ich löschte diese Sachen auch aus meinen Social Media-Kanälen und machte keine Akquise mehr. Es war ein harter Cut. Den Dienstleistungsmusiker Isaak gibt es seitdem nicht mehr.

"Ein letzter Platz würde meine Welt nicht zerstören"

prisma: Nun vertreten Sie Deutschland beim ESC, wo in den letzten Jahren rund um die deutschen Beiträge immer irgendwie schlechte Stimmung herrschte. Wie sehr belastet Sie das?

Isaak: Eigentlich tut es das gar nicht. Ich fühle mich mit meiner Musik einen Schritt weiter, als dass ich auf den ESC angewiesen wäre. Der Wettbewerb ist für mich eine tolle Chance, aber er ist nicht der Höhepunkt meines Lebens oder meiner Karriere. Es soll jetzt nicht arrogant klingen, aber so sehe ich es. Mein Leben, meine Musik wird weitergehen – egal, was in Malmö passiert. Ich kann eigentlich nur gewinnen.

prisma: Wie genervt sind Sie von jenen Leuten, die überall erzählen: Also mit dem Isaak wird Deutschland bestimmt wieder Letzter oder Vorletzter?

Isaak: Die gesamte deutsche Negativität provoziert mich nur in einem sehr positiven Sinne. Ich hatte schon immer ein großes Problem mit Autoritäten. Wenn Leute sagten: Soundso hat das zu passieren, bin ich immer strikt dagegen vorgegangen und habe es bewusst anders gemacht. Mich motiviert diese Art von Kritik. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich ganz bei mir selbst. Mein Ziel ist immer, so authentisch wie irgend möglich zu bleiben. Diese Grundüberzeugung meines Lebens wird der ESC nicht verändern.

prisma: Gibt es eine Platzierung, ab der Sie sagen würden, dass es ein erfolgreicher ESC war?

Isaak: Ein letzter Platz würde meine Welt nicht zerstören, da bin ich mir sicher. Ich wäre aber mega happy, würde ich in die Top-Ten kommen. Da wäre es mir dann auch völlig egal, auf welchem Platz ich konkret lande.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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